Für die eigenen Bedürfnisse eintreten ohne andere zu verärgern

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Wie wir es schaffen, dass wir gehört werden, auch wenn alle anderen was anderes wollen, und am Ende alle Beteiligten wirklich zufrieden sind

1. Wie uns kleine Begebenheiten die Freude nehmen können

Elke und Roland Müller sind mit dem Ehepaar Martin und Sabine Herrmann seit langem befreundet. Sie gehen gern zusammen wandern.

Heute wandern Sie im Erzgebirge. Sie sind um 8 Uhr losgefahren und wandern seit 9:00 Uhr. Kurz vor 12 erreichen sie eine Gaststätte. Elke hat Hunger und sagt zu den anderen: „Oh schön, da können wir ja hier gleich zu Mittag essen!“

Martin und Sabine antworten: „Ach nö, in ca. 1,5 Stunden kommt eine viel schönere Gaststätte, da wollen wir essen.“ Roland stimmt den beiden zu: „Na dann essen wir dort.“

Und Elke? Sie fühlt sich überstimmt: 3 gegen 1. Was kann sie jetzt für eine Chance haben? Sie sagt nichts, fügt sich in ihr Schicksal – und ärgert sich innerlich: „Wir essen zu Hause immer um 12:00 oder 12:30 Uhr, und zwar weil Roland das so will, nicht wegen mir. Und hier: Sobald die Freunde, was wünschen, da stimmt er ihnen zu. Immer wenn Freude was wollen, fügt er sich, dann bin ich ihm ganz egal.
Nie geht es nach meinem Kopf. Immer die anderen, nur weil die 3 sind… usw.“

Elkes Wanderlust schwindet und das nicht nur für heute. Und auch von ihrem Partner fühlt sie sich allein gelassen. Und dieser innere Ärger belastet sie und unterschwellig auch das Verhältnis zu den Freunden und zu ihrem Partner.
Und Elke bemerkt nicht, was sie selbst anders machen könnte, sodass ihr solche oder ähnliche Situationen häufiger passieren. Manchmal könnte sie davonlaufen.

2. Wie wir uns die Freude am Zusammensein mit Freunden erhalten können.

Schauen wir uns die Situation an, wenn Elke anders reagiert. Zwischenzeitlich hat sie in einem empathischen Gespräch Klarheit gefunden, wie es ihr in der Situation wirklich ging und welche Bedürfnisse sie hatte: Sie hat folgendes herausgefunden: Sie war etwas müde, weil sie schon 3 Stunden wanderten, brauchte eine längere Pause und sie hatte Hunger, weil sich ihr Körper an die Mahlzeiten zwischen 12:00 und 12:30 Uhr gewöhnt hat und sie bereits um 7:00 Uhr gefrühstückt hatte. Und sie möchte gern mit ihren Bedürfnissen bei ihren Freunden gehört werden, so dass diese auch Erfüllung finden können, wenn nur sie allein etwas will.

Wie kann sie das tun?

Na auf keinen Fall mit einer verbreiteten Wir – Botschaft, wie oben: „Oh schön, da können wir ja hier gleich zu Mittag essen!“

Besser wäre zum eigenen Wunsch und zu den eigenen Bedürfnissen zu stehen und das auch so zu sagen: „Ich bin im Moment müde vom Wandern und brauche eine längere Pause und habe Hunger. Ich möchte hier gern zu Mittag essen!“

Da fällt es den anderen viel leichter zu erkennen, wie wichtig Elke die Mittagspause hier ist und es fällt ihnen gleichzeitig schwerer, diese Bitte von Elke zu übergehen. Allerdings steigt so die Gefahr, dass sich jetzt Martin und Sabine anpassen und sich selbst übergehen. Und wenn das oft genug vorkommt, reagieren viele Menschen leider so, dass sie den Kontakt mit Menschen meiden, wo ihre Bedürfnisse keine Erfüllung finden, d. h. hier konkret, dass dann Sabine und Martin ihrerseits vielleicht nicht mehr mit Elke und Roland wandern wollen und sich mit Ausreden entziehen.

Deshalb reicht es nicht aus, nur zu sagen, was man selbst will, sondern es braucht eine Rückfrage, wie es den anderen damit geht bzw. ob die Bitte oder der Vorschlag auch für die anderen passt. Wir brauchen also verhandelbare Bitten, statt Ansagen, was man selbst will. Elke könnte also sagen: „Ich bin im Moment müde vom Wandern und brauche eine längere Pause und habe Hunger. Ich möchte hier gern zu Mittag essen! – Wie sieht das für euch aus? Passt das auch für euch? Habt ihr auch schon Hunger?“
Diese Rückfragen lassen wir oft weg, aus Angst, die anderen könnten „Nein“ sagen und unser Wunsch und unsere Bedürfnisse würden sich dann nicht erfüllen.

Dabei schenkt uns gerade das „Nein“ neue Möglichkeiten, die die Wünsche aller Beteiligten erfüllen können. Es schenkt uns, dass alle die volle Freude an der gemeinsamen Wanderung erleben, weil sie nicht auf einen Teil ihrer Bedürfnisse verzichten.

Schauen wir mal, wie es zwischen unseren Wanderfreunden weiter geht: Auf Elkes Rückfrage antworten Sabine und Martin: „Wir haben noch keinen Hunger und in ca. 1,5 Stunden kennen wir eine schöne Gaststätte, wo uns das Essen besonders gut schmeckt. Da würden wir gern essen.“ Nun könnte Elke allerdings einknicken, und erneut ihre eigenen Bedürfnisse für unwichtig nehmen – doch diesmal will sie es anderes versuchen. Sie akzeptiert ihre eigenen Bedürfnisse und die der Freunde: „Hm, ihr wollt also lieber später essen und ich brauche jetzt eine längere Pause und Mittag. Was haltet ihr davon, dass ich hier esse und ihr vielleicht nur etwas trinkt, und ihr dann dort esst und ich Kaffee trinke?“
Darauf können sich alle einigen – und auch Roland ist ganz zufrieden. Er bemerkt erst jetzt seinen Hunger und isst in dieser Gaststätte zu Mittag und trinkt in der 2. Gaststätte ein schönes Bier.

So macht der Tag allen Freude – und der nächste Wandertag wird gleich vereinbart.